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Sucht kann man nicht wegfasten und wegbeten

Kreuzbund-Bundesgeschäftsführer über die Chancen der Fastenzeit

Sucht kann man nicht wegfasten und wegbeten

Bonn (KNA) Viele Menschen nutzen die Fastenzeit, um sich von schlechten Gewohnheiten und Alltagssüchten zu verabschieden. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt Heinz-Josef Janßen (58), Bundesgeschäftsführer des Kreuzbundes, warum einer Sucht nicht mit Fasten beizukommen ist.

KNA: Herr Janßen, aus Ihrer Erfahrung in der Begleitung suchtkranker Menschen - warum halten Menschen allen besseren Wissens zum Trotz an gesundheitsschädigendem Verhalten fest?

Janßen: Gerne wird verniedlichend von kleineren und größeren Süchten gesprochen. Eine echte Sucht oder Abhängigkeit kann man aber nicht wegfasten oder wegbeten. Denn Sucht ist eine ziemlich dramatische Angelegenheit. Da geht es nicht um liebgewonnene oder lästige Gewohnheiten, sondern um eine ernste, behandlungsbedürftige Krankheit. Menschen halten auch an Gewohnheiten fest, weil sie sich körperlich, psychisch oder auch aufgrund von sozialem Druck daran gewöhnt und damit eingerichtet haben. Die Fastenzeit ist eine große Chance, das zu hinterfragen.

KNA: Der katholische Kreuzbund unterhält rund 1.400 Selbsthilfegruppen. Inwieweit spielt der Glaube bei Ihren Treffen eine Rolle ?

Janßen: Der Glaube kann helfen, und er ist im weiteren Sinne auch immer wieder ein Thema. Bei Alkoholismus gehört es zu den sozialen Folgeerkrankungen, dass sich die Betroffenen nicht nur in ihrer Familie, ihrem Freundeskreis oder an ihrem Arbeitsplatz isoliert haben. Vielfach führen sie auch ein Einsiedlerleben mit Blick auf spirituelle Praktiken. Viele sind aus der Kirche ausgetreten und praktizieren ihren Glauben nicht mehr. Sie isolieren sich also auch im religiösen Kontext.

Wenn ich an die Menschen denke, die den Weg zu einem abstinenten, ja gesunden, zufriedenen und glücklichen Leben zurückfinden, sehe ich aber auch, dass nicht wenige zu Gott und der Kirche zurückfinden. Viele berichten glaubwürdig, dass ihnen Gott in ihrer Krise geholfen habe, gerade in Momenten, wo sie keinen Ausweg mehr gesehen haben. Da war er wie der letzte Strohhalm oder Rettungsanker - auch in Form von Menschen, die ihnen zur Seite gestanden haben. Dabei kann der Kreuzbund, wie auch andere, professionelle Einrichtungen, Hilfestellung geben. Verhältnismäßig viele schaffen es, die im Lauf der Sucht aufgebaute Distanz zu Glaube und Kirche zu revidieren. Etliche unserer Mitglieder sind wieder in die Kirche eingetreten oder konvertiert oder haben sich taufen lassen.

KNA: Es heißt, dass Sucht auch auf eine Sinnkrise hindeuten oder ein Grund sein kann, süchtig zu werden. Wie sehen Sie das?

Janßen: So pauschal kann man das nicht sagen. Die Frage ist immer, wie eine Abhängigkeitserkrankung überhaupt entsteht. Was ist zuerst da, die Henne oder das Ei? Denn die Sinnkrise kann auch eine Folge der Abhängigkeit sein. Denn je tiefer ich in den Teufelskreis der Abhängigkeit hineingerate, desto mehr erlebe ich einen Sinnverlust; ich zweifle an all meinen Mitmenschen, an Gott, an der Welt, an mir selbst. Selten gerät jemand aufgrund einer bereits bestehenden Sinnkrise in eine Sucht. Die Sinnkrise ist eher eine Folge als die Ursache der Sucht.

KNA: Man kann also nicht sagen, dass Sucht immer eine spirituelle Komponente hat?

Janßen: Das trifft nur dann zu, wenn Menschen dafür ausgeprägt empfänglich sind und eine Antenne dafür haben. Wenn man das Wort Spiritualität weit fasst, also außerhalb der klassischen Religionen und Konfessionen, dann scheinen Menschen zunehmend eine solche Dimension zu suchen, weil sie sie in ihrem Leben vermissen - ein Grundphänomen unserer Zeit. Insofern spielen spirituelle Fragen und die Sinnsuche durchaus eine Rolle. Die Kirchen haben hier die einmalige Chance, Menschen anzusprechen. Das wird viel zu wenig gemacht. Ich sehe eine ganze Menge missionarischer Möglichkeiten, Menschen gerade in solchen lebensentscheidenden Krisen anzusprechen.

KNA: Wenn jemand nun die Fastenzeit nutzen möchte, gegen seinen vielleicht kritischen Alkohol- oder Zigarettenkonsum anzugehen - haben sie da ein paar Tipps?

Janßen: Fastenzeit ist vom Grundsatz her eine Einladung, innere Inventur zu machen - nicht nur für den eigenen Körper, sondern auch für Geist und Seele, also im ganzheitlichsten Sinne. Wenn ich dabei merke, dass ich gar nicht mehr von unmäßigem oder gewohnheitsmäßigem Konsum von irgendwelchen Sucht- oder Nahrungsmitteln oder ungesunden Verhaltensweisen lassen kann, dann sollte das ein Alarmsignal sein.

Hier kann die Fastenzeit so etwas wie eine Testphase werden, um auszuprobieren, ob ich es auch mal ein paar Wochen ohne Alkohol, Zigarette, Schokolade am Abend oder dauernden Fernsehkonsum schaffe. Wenn das nicht gelingt, ist das erst mal ein Alarmzeichen, es muss noch keine Abhängigkeit sein. Aber ich sollte schon sehr selbstkritisch damit umgehen. Und wenn der Verzicht gelingt, dann kann er zu einer Neuausrichtung bis in die letzten Zipfel meines Geistes und Körpers hinein beitragen. Das kann ein ganz neues Lebensgefühl ergeben.

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